Wer hat Angst vor digitaler Transformation?

„Wer hat Angst vor digitaler Transformation?“ „Niemand!“ „Und wenn sie kommt?“ „Dann laufen wir…“

Der Anfang des Fangspiels „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ ist der Titel des 2021 beim dtv erschienen Buches von Asfa-Wossen Asserate. In einem Interview mit BR24 macht der Schriftsteller deutlich, dass er sich in puncto Rassismus keine symbolischen und polarisierenden Scheindebatten wünscht, sondern dass es ihm um ein tieferes Verständnis für Traumata wie Sklaverei und Kolonialismus geht. Darum setzt er auf Bildung und darauf, dass sich „die Herzen verändern“.

Ein Bericht von Pfarrerin Heidi Wolfsgruber (Bildung evangelisch zwischen Tauber und Aisch)

Transformationsprozesse
Unsere Landeskirche setzt ebenfalls auf Bildung – auf „Bildung Evangelisch“-, um ihr Profil zu schärfen. Bildung mit dem Anspruch, Horizonte zu weiten, zieht sich daher wie ein roter Faden durch alle kirchlichen Aufgabenfelder, ist Teil unserer Gottesdienste, nimmt den oder die Einzelne mit auf eine persönliche Entdeckungstour, gestaltet Bildungslandschaften – auch digitale – und das eben insbesondere in den Zeiten des digitalen Wandels.

Mit der Einführung des Computers wurde die digitale Transformation aller Lebenswelten angestoßen – ähnlich wie die Einführung des Buchdrucks die Reformation in Gang gebracht hat. Ein komplexes Geschehen, indem wir mittendrin stecken ohne wirklich gefragt worden zu sein, – von dem wir auch wissen, dass es sich nicht vereinfachen wird – im Gegenteil.

Als Organisation ist die Kirche selbst diesem Wandel ausgesetzt. Weil sie sich zudem in einem dynamischen Geschehen sowohl mit Menschen als auch ihrem Auftrag versteht, muss sie sich einerseits fast zwangsweise entsprechend strategisch ausrichten, anderseits das Neue natürlich aber auch theologisch und geistlich mit Blick auf die Menschen durchdringen. Zu ersterem findet sich im Intranet das aktuelle IT-Strategiepapier. An sich aber sind wir alle gefragt, unseren Horizont zu weiten und zu schauen, wie G‘tt uns denn in der sich digital überbordenden Gegenwart begegnen will.

IT-Strategiepapier
Wenn ich das Strategiepapier lese, finde ich viel Sinnvolles und Nachvollziehbares, um als Kirche in dem Prozess gut aufgestellt zu sein. Die Aufgabenfelder umfassen die Bereiche Digitalisierung, Resilienz, Zukunftsfähigkeit, Neues Arbeiten und Kundenzufriedenheit – wobei letzterer Begriff mich erst Mal zum Schmunzeln bringt. Manche abgekürzten Begrifflichkeiten in den Ausführungen dazu sagen mir (noch) nichts, aber ich finde es grundsätzlich schon mal gut, dass beispielsweise eine gewisse Verbindlichkeit bezüglich digitaler Ablage-, Verwaltungs- und Kommunikationssysteme kommen soll. Meine Hoffnung dabei ist, dass alles weniger umständlich und mehr Vernetzung möglich ist, auch Daten leichter geteilt werden können und Zusammenarbeit diesbezüglich besser gelingt. Kommunikationstools dürfen gerne sinnvoller zum Einsatz gebracht werden, indem klarer ist, was ich als E-Mail wohin schicke oder was ich schnell per Chat erledige. Denn dann dienen mir die Tools. Doch natürlich weiß ich auch: Sie haben eine eigene Macht – die Datenflut an sich nimmt zu, alles will erfasst, abgespeichert und abgesichert werden.

Auf der einen Seite geschieht also eine Vereinfachung der Prozesse, auf der anderen nehmen die Aufgaben gerade durch die Digitalisierung zu und schreien danach, abgearbeitet zu werden. Statt eines persönlichen Telefonanrufs gibt es dann mehr anonymes Hin- und Herschieben von digitalen Daten, so dass viel Ohnmacht ins Spiel kommt: Warum muss das alles sein? Was macht das mit mir? Wo bleibe ich da als Mensch? Ich das noch mein Beruf, meines Berufung?

Beim Durchlesen des Strategiepapiers bin ich diesbezüglich über das Wort „intuitiv“ gestolpert, dass mich erst Mal stutzig gemacht hat. Im Kontext meines Berufes als Pfarrerin hat Intuition etwas mit meiner Gottesbeziehung zu tun, ist eine Art „innerlich“ motivierte Herangehensweise oder inneres Bewusstsein, das mir hilft, die Geister zu scheiden. Jetzt geht es auf einmal darum, intuitiv mit neuen Tools umzugehen, so dass ich mich nicht groß darüber informieren und Zeit reinstecken muss. Hängengeblieben bin ich zudem beim Wort „Innehalten“, das ich im Kontext von New Work als Beschreibung einer Art Verweigerungszustand gehört habe. Innehalten war für mich bisher immer eine bewusste spirituelle Übung, um Körper, Geist und Seele neu in Einklang zu bringen – auch um Kraft zu schöpfen für all das Neue, das da kommt. Daher stellt sich für mich als Pfarrerin natürlich auch die Frage: Was ist in puncto Digitalisierung meine besondere Aufgabe?

Erahnung
Wenn ich ehrlich bin, dann bemerke ich ein tiefer liegendes „Unwohlsein“ gegenüber all´ dem, was da transformatorisches kommen wird und frage mich, woher das rührt? – Ich weiß doch, die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Außerdem will ich ja auch, dass wir als Kirche mittendrin sind, nicht außen vor bleiben, mitgestalten. Warum also dieses mulmige Bauchgefühl?

Ich mache es jetzt mal nicht fest an meiner Skepsis bezüglich der Abhängigkeit von großen Tech-Konzernen, denen wir uns als Kirche aussetzen – inklusive der damit einhergehenden finanziellen Ansprüche. Oder an meinen Bedenken bezüglich der Empfehlung, doch auch auf Social Media-Kanälen wie Instagram präsent zu sein – inklusive der zwangsweise damit einhergehenden Selbstdarstellung. Eher kommt es wohl daher, dass ich als Pfarrerin zur Komplexität des Gegenwärtigen noch nicht wirklich etwas „Gescheides“ zu sagen habe. Denn ich durchdringe es noch nicht wirklich, in welche neuen Dimensionen uns die zunehmende Vernetzung von Mensch und Maschine in allen Lebensbereiche katapultiert. Ich erahne nur, dass der Wandel – für mich persönlich, aber auch für uns als Kirche – wohl noch viel tiefgreifender ist als ich es mir jetzt überhaupt vorstellen kann.

Lerngemeinschaft sein
Mit diesen Hintergründen weiß ich: Davonrennen ist keine Lösung! Vielmehr soll all´ das zu Wort kommen dürfen, was mich umtreibt und bewegt. Dabei geht es mir nicht um ein Beklagen der Welt, der oft mit einem Rückzug in „heile“ Räume einhergeht, oder um ein Polarisieren nach dem Motto „Das hat uns gerade noch gefehlt“. Sondern darum, ein konstruktives Miteinander aller Akteur*innen zu wagen. Miteinander – so hoffe ich – lässt sich neugierig Ausschau halten nach dem, was da an Reich Gottes da sein könnte inmitten von Technik und Tools –  jesuanisch nach dem Geist suchend der selbst Tastaturritzen durchweht.

Daher schlage ich ganz konkret vor, dass die Bildungswerke – wie beim Willkommenstag – im Zusammenarbeit mit der Diakonie bzw. mit DiakonieKolleg einen klaren Auftrag von der Landeskirche bekommen: Dass sie diesen Prozess des digitalen Wandels vor Ort in den Gemeinden, Dekanaten und Einrichtungen begleiten. Dass sie die Menschen bei ihren Ängsten und Vorbehalten abholen und mitnehmen in ein neues Arbeiten. Dass gemeinsame Tiefenbohrungen entstehen, dabei kleinste Ritzen sich öffnen, aus denen uns von G’tt etwas zukommt. Kirche wird dann unter den Menschen, die selbst haupt- und ehrenamtlich mitarbeiten, konkret so erfahrbar werden: Wir lassen Euch nicht allein. Wir kommen als eine Lerngemeinschaft zusammen, als Menschen, die G‘ttes Kraft neu inmitten aller digitaler Technik, Tools und Technologie entdecken wollen – so dass sich Horizonte weiten und Herzen sich berühren.

Zur weiteren Info:

https://www.ndr.de/kultur/Asfa-Wossen-Asserate-ueber-sein-Buch-Wer-hat-Angst-vorm-Schwarzen-Mann,asserate106.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Digitale_Transformation

Link zur ELKB IT-Strategie Nov. 2022: https://www2.elkb.de/intranet/system/files/infoportal/downloadliste/elkb_it_strategie_2022_.pdf

Foto: Spielillustration aus einem Schweizer Kinderbuch von 1860 (Gemeinfrei)

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