„Kirche und auch die Akteure der Evangelischen Erwachsenenbildung müssen Interessen vertreten!“ (Dr. Jana Funk, EBZ Bad Alexandersbad)
Politische Bildung ist im Programm des Evangelischen Bildungs- und Tagungszentrum Bad Alexandersbad seit jeher fest verankert. Doch warum wird es in letzter Zeit immer schwieriger, Teilnehmende für politische Bildungsangebote zu interessieren. Was ist bei der Gestaltung diesbezüglicher Veranstaltungen wichtig und wie steht es eigentlich mit der Generationenfrage? – Über diese und andere spannende Fragen sprach die AEEB mit Dr. Jana Funk, die seit April dieses Jahres als Bildungsreferentin und Studienleiterin für politische Bildung in Bad Alexandersbad tätig ist.
AEEB: Liebe Frau Funk, gerade in der momentanen, politisch höchst unruhigen Situation sind diesbezügliche Bildungsangebote von großer Bedeutung, doch – wie wir alle wissen – gestaltet sich die Gewinnung von (neuen) Teilnehmenden dieser Tage nicht immer leicht. Welche Ansätze verfolgen Sie im Bildungszentrum Bad Alexandersbad, um sich einen Zielgruppenzugang zu verschaffen?
Dr. Jana Funk: Das ist ein Paradoxon unserer Zeit, welches Sie ansprechen. Ja, wir leben in einer Zeit, in welcher politische Bildung immer dringlicher wird, aber auch in einer Zeit, in der die Motivation sich politisch bilden zu lassen nicht wirklich hoch ist. Hierfür sind bestimmt viele wichtige Gründe zu nennen, doch eines scheint doch auf der Hand zu liegen: Die globalen Krisen dringen immer stärker in unsere Lebenswelten ein, das gibt auf der einen Seite Anlass und Notwendigkeit zum politischen Denken und Handeln, auf der anderen aber werden durch die Veränderungen, die wir erleben, auch einfach Kapazitäten von Menschen gebunden – anders gesagt, für viele Menschen verschieben sich die Prioritäten nicht gerade in Richtung der Weiterbildung oder des lebenslangen Lernens, sondern eher in Richtung der Absicherung des eigenen Lebensstandards. Was auch erstmal absolut nachvollziehbar ist. Dass dieser Standard jedoch zukünftig in dieser Form, wie wir ihn gerade kennen, nicht aufrechtzuerhalten ist, das ist die große Herausforderung unserer Zeit!
Die von Ihnen angesprochene Schwierigkeit der Gewinnung von neuen Teilnehmenden ist vor diesem Hintergrund auch ein Teil dieser großen Herausforderung: Am einfachsten sind immer jene Menschen zu erreichen, die Zeit und Lust haben, sich auf politische Fragestellungen einzulassen. Auf diese Weise bleiben politische Bildungsveranstaltungen leider sehr stark milieuabhängig. Denn ja, es ist vor allem auch eine Frage der Ressourcen, des eigenen Selbst- und Weltverständnisses etc., ob sich Menschen auf den Weg in ein Bildungszentrum machen und dort eine Veranstaltung zu politischer Bildung besuchen. Ich persönlich kenne daher auch keinen goldenen Weg, was die Gewinnung neuer Teilnehmenden angeht. Ich glaube nur, dass wir uns als politische Bildner*innen oder als Mitarbeitende von Bildungseinrichtungen selbst (mehr) bewegen müssen, um Menschen zu erreichen. Und mit dieser Bewegung meine ich sowohl die innere Haltung als auch das Bildungsverständnis selbst. Ein Stichwort dieser Tage ist die „aufsuchende politische Bildung“. Das heißt, dass politische Bildner*innen nicht nur Menschen in Seminarräumen empfangen, sondern auch vermehrt zu den Menschen, in ihre Lebenswelten, auf die Straßen, in öffentliche Räume gehen. Und das auch nicht primär im Sinne der Wissensvermittlung, nach dem Motto „Ich komme zu euch und bringe Wissen“, sondern im Sinne des zuhörenden Dialogs „Ich komme mit Interesse und offenen Ohren und bin auch bereit mich verändern zu lassen“. Mit Hartmut Rosa (Anmerkung d. Red.: Deutscher Soziologe und Politikwissenschaftler) gesprochen wären solche Begegnungen soziale Resonanzbeziehungen. Das ist dann auch eine Antwort auf Ihre Frage der Gewinnung von Teilnehmenden: Ich stelle mir politische Bildung in der Zukunft als ein Resonanzgeschehen vor, als ein Geschehen, das Ergebnisoffenheit zulässt und in dem Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen den Eindruck gewinnen können, dass sie und ihre Fragen ernst genommen und gehört werden. So bleiben wir zumindest als politische Bildner*innen selbst mehr in Bewegung und wirken der Milieuzentrierung etwas entgegen.
AEEB: Bad Alexandersbad liegt ja eindeutig im ländlichen Raum – sehen Sie Unterschiede zwischen politischen Bildungsangeboten im ländlichen Raum und in der Stadt?
Funk: Ich denke, dass es große Unterschiede, aber auch einige Gemeinsamkeiten zwischen Bildung in urbanen und ländlichen Gegenden gibt. Was die Unterschiede angeht, so hängen diese auch mit der ersten Frage zusammen: Urbane Lebenswelten sind Lebenswelten, die mehr akademisch und bildungsbürgerlich geprägt sind und in denen es mehr Singlehaushalte gibt als auf dem Land. Für die politische Bildung heißt dies, dass es andere Zielgruppenmilieus gibt. Es geht mir hierbei nicht darum, diese Unterschiede zu bewerten, oder darum, Stereotype über ländliche Räume zu verstärken. Es geht vielmehr darum, eine erste Zielgruppenanalyse zu machen und die demographischen Unterschiede zu klären.
Das grundsätzliche Thema jedoch, wie wir Menschen ansprechen und wie wir Menschen begegnen, betrifft allerdings nicht nur die Bildung im ländlichen Raum. Es sind meines Erachtens nämlich wesentliche Fragen, welche Grundsätzliches betreffen: Welche Begriffe und welche Sprache nutzen wir, wenn wir Menschen ansprechen? Können sich Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher kultureller und sozialer Prägung in unserer Bildungseinrichtung/ in meinem Seminar wohlfühlen? Geben wir zu erkennen, dass wir Interesse an den Lebenswelten, Sorgen, Fragen und Nöten der Menschen haben? Sind wir selbst bereit zu lernen und eigene Sichtweisen zu hinterfragen? Lassen wir uns von der Welt und von unseren Mitmenschen bewegen? … Solche Fragen können noch unendlich weiter gestellt werden, aber darum soll es an dieser Stelle ja nicht gehen. Um den Bogen zum Anfang zu spannen: Die Antwort auf diese Fragen kann natürlich davon abhängen, wo wir uns gerade befinden – in ländlichen oder in urbanen Räumen -, die Antworten fallen sicher jedoch oftmals erstaunlich gleich aus, eben weil sie Grundlegendes betreffen.
AEEB: Gesellschaftlicher Wandel bzw. Prozesse, aber auch die Generationenfrage sind für die Gestaltung von politischen Bildungsangeboten seit jeher von großer Bedeutung. – Wie lösen Sie die (heutige) Kluft zwischen den Generationen? Was ist aus Ihrer Sicht Ausschlag gebend, um sowohl junge, als auch ältere Menschen für politische Veranstaltungen zu begeistern?
Funk: Die Generationenfrage ist für mich eine der wichtigsten Fragen mit Bezug auf die Gestaltung gesellschaftlichen Wandels und auch mit Bezug auf die großen ökologischen Fragen der Zukunft; damit meine ich die Grenzen des Wachstums und die Klimakrise. Ich glaube auch, dass wir die Herausforderungen, die mit Generationenfragen einhergehen, nicht unterschätzen dürfen. Die Sozialforschung hat gezeigt wie prägend Werte und gesellschaftliche Kultur für die eigene Persönlichkeit sind. Wenn wir diese Unterschiede einfach als „naja, so ist es eben, die junge (oder ältere) Generation tickt einfach anders“ abtun, laufen wir Gefahr aneinander vorbeizureden und uns wechselseitig zu verschließen. Für mich ist es wichtig davon auszugehen, dass sich Generationen etwas zu sagen haben. Natürlich ist hierbei das Thema der Augenhöhe relevant: Sich wechselseitig etwas zu sagen zu haben, schließt auch eine wechselseitige Bereitschaft zu Lernen ein. Wenn dies gelingt, ist das für meine Begriffe schon ein großer Schritt, denn dann können Herausforderungen auch generationenübergreifend angegangen werden. Für die Fragen der Gegenwart und der Zukunft ist das gemeinsame Handeln sehr relevant, aber auch hier gibt es eine wichtige Asymmetrie: Junge Menschen sind von den zahlreichen gesellschaftlichen Herausforderungen in einem viel größeren Ausmaß als ältere Menschen betroffen. Junge Menschen müssen ihre Zukunft in diese zunehmende Unsicherheit hinein entwerfen und müssen mit stärkeren Veränderungen mit Bezug auf die wahrgenommene Lebensqualität rechnen! Wenn Institutionen und gesellschaftlicher Diskurs diese unterschiedliche Betroffenheit nicht respektieren und inkludieren, kommt es natürlich verstärkt zu Frustration und politischen Desinteresse, vor allem bei jungen Menschen. (Zumal diese meist keine zentralen gesellschaftlichen Gestaltungspositionen innehaben, um ihre Interessen zu vertreten)
Für Bildungsangebote heißt das für mich, in Bezug auf die Generationengerechtigkeit sensibel und wachsam zu sein – auf der einen Seite heißt das Aufklärungs- und Verständnisarbeit zu leisten und auf der anderen heißt das auch, die eigene Haltung zu überdenken, um keine Ausschlüsse zu kreieren oder Stereotype zu reproduzieren. Wenn Menschen das Gefühl haben, in ihren eigenen Positionen und Interessen nicht ernst genommen zu werden, dann werden sie schließlich auch kaum die Bereitschaft entwickeln, andere Positionen als valide anzunehmen.
AEEB: „Kirche und auch die Akteure der Evangelischen Erwachsenenbildung müssen Interessen vertreten!“ – wie ist dieses kürzlich von Ihnen getroffene Statement zu verstehen?
Funk: Damit meine ich, dass es mir persönlich wichtig ist, als Akteurin der Evangelischen Erwachsenenbildung im öffentlichen Diskurs politische Position zu beziehen. Gerade vor dem Hintergrund der derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklungen erscheint die politische Stellungnahme immer bedeutsamer. Wenn die soziale Schere immer weiter aufgeht, muss der Auftrag doch derjenige sein, die schwachen und verletzlichen Stimmen in der Gesellschaft nicht zu vergessen und dafür zu sorgen, dass alle Menschen, Milieus, gesellschaftliche Gruppen die Möglichkeit haben, ihre Interessen zu vertreten. Für die politische Bildungsarbeit heißt das, zum einen Sprachrohr zu sein, zum anderen aber auch eine Bühne für weniger privilegierte Mitbürger*innen zu bieten.
Politische Interessensvertretung allein der Landschaft der politischen Parteien zu überlassen, ist natürlich ein möglicher, aber auch ein etwas trauriger Schritt. Das würde ja auch bedeuten, dass die Kirche die Macht der politischen Gestaltung aus der Hand gibt. Wenn es aber eine gesellschaftliche Vision gibt, die sich meines Erachtens aus christlichen Werten eindeutig ableitet, dann ist es auch eine Aufgabe der Kirche, für eben eine solche Vision zu streiten und auch für soziale Verteilungs- und Anerkennungsfragen einzustehen.
AEEB: Im Bildungszentrum Bad Alexandersbad haben sich in den letzten Monaten nicht nur personelle, sondern auch größere strukturelle Veränderungen vollzogen. Welche Wünsche/ Ziele haben Sie persönlich für die Fortführung der Arbeit vor Ort?
Funk: Veränderung ist der Lauf der Zeit. Aber ja, Sie haben Recht. In meiner kurzen Zeit in Bad Alexandersbad haben sich schon viele Veränderungen ergeben. Was meine Wünsche und Ziele angeht… nun, dazu habe ich in den obigen Antworten schon einiges skizziert. Mir ist es wichtig, als Bildungsschaffende in Bewegung zu bleiben, mich immer wieder den wichtigen Fragen der Zeit zu stellen und auf Menschen zuzugehen, zu lernen. Was mir außerdem sehr wichtig ist, wenn ich über meine persönlichen Wünsche spreche, dann möchte ich das ehrlich gesagt nicht primär alleine als ICH, sondern stärker als WIR tun. Wenn wir in der Bildung einen guten Beitrag zu gesellschaftlicher Entwicklung – ob auf dem Land oder in der Stadt – leisten wollen, dann kommen wir nicht umhin kooperativer und gemeinschaftlicher zu handeln. Gerade im Sinne der Perspektivenvielfalt erscheint dies unabdingbar. Wenn ich mir selbst etwas ausdenke, dann repräsentiert das Erdachte meine eigene Perspektive. Umso mehr Menschen gemeinsam denken und handeln, umso mehr Perspektiven können inkludiert werden. Ich glaube, wir können im Bereich des politischen und pädagogischen Handelns glaubwürdiger und stärker werden, wenn wir Unterschiede nicht gegeneinander ausspielen, sondern sie miteinander vereinbaren lernen, ohne diese gleich hierarchisch ordnen zu wollen.
Einen Link zur Homepage des Evangelischen Bildungs- und Tagungszentrum Bad Alexandersbad finden Sie hier
Interview: Sabine Löcker (AEEB)