AEEB Interview: “Barrieren sind nicht nur Treppenstufen…”

Das Referat für Chancengerechtigkeit der Evangelischen Landeskirche in Bayern (ELKB) setzt sich konzeptionell und politisch dafür ein, das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung im kirchlichen Bildungsbereich, im Arbeitsleben sowie in der Gemeindearbeit auszubauen und zu stärken. Die AEEB sprach mit der Koordinatorin für Chancengerechtigkeit, Linn Loher, über inklusive Aufgaben und Ziele. 

AEEB: Liebe Frau Loher, Sie sind im relativ neu gegründeten Referat für Chancengerechtigkeit in der ELKB tätig. Worum kümmert sich Ihre Stabsstelle und warum ist Chancengerechtigkeit ein so wichtiges Thema von Kirche bzw. kirchlicher Bildung?

Linn Loher: Das Referat für Chancengerechtigkeit ist aus der Frauengleichstellungsstelle entstanden und nimmt neben Geschlecht auch die Themen Alter, Inklusion und andere Vielfaltsformen in den Blick. Vielfalt als Bereicherung – von diesem Standpunkt aus entwickelt und empfiehlt das Referat Maßnahmen zum Ausbau von Selbstbestimmung und gerechten Teilhabechancen im Bereich der Kirche. Grundlage ist die biblische Überzeugung, dass jeder Mensch als Ebenbild Gottes mit einer unantastbaren Würde ausgestattet ist, unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft, seinen Anlagen und Fähigkeiten.

Wir geben Impulse für mehr Teilhabechancen in allen Bereichen unserer Kirche – von Besuchern über Ehrenamtliche bis zu Hauptberuflichen setzen wir uns für mehr Sensibilität und Achtsamkeit im Umgang miteinander ein. 

AEEB: Wo liegen Ihre Arbeitsschwerpunkte im Bereich Inklusion?

Loher: Inklusion von Menschen mit Behinderung ist eine Herausforderung mit vielen kleinen und größeren Stellschrauben. Unsere derzeitigen Schwerpunkte liegen im Bereich Leichte Sprache und dem Abbau von digitalen Barrieren. Was das bedeutet? – Leichte Sprache nutzt allen – nicht nur Menschen mit Lernschwierigkeiten, sprachlichen Beeinträchtigungen oder Menschen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Gute strukturierte Texte, eine direkte Ansprache und die Verwendung einfacher Grammatik heißt alle Menschen willkommen, erhöht die Verständlichkeit und vergrößert sogar das Vertrauen in die Information. Wenn ich eine Information suche, dann freue auch ich mich über klar verständlich formulierte Texte. Eine übersichtliche Gestaltung z.B. durch eine Aufzählung lässt mich relevante Elemente schneller finden.

Als zweiten Schwerpunkt blicke ich derzeit auf digitale Barrieren. Hier kann man mit nur einem bisschen Know-how sehr viel erreichen. Das muss nicht teuer sein und erleichtert nicht nur blinden Menschen den Zugang zum digitalen Angebot der Kirche. Es gibt 78 klar definierte Kriterien für ein barrierefreies Internet, die für z.B. staatliche Internetseiten und Datenbanken Standard sind. Wir im Referat für Chancengerechtigkeit setzen uns dafür ein, dass diese auch zu einem kirchlichen Standard werden.

AEEB: Welche Angebote/ Projekte halten Sie für (Bildungs-)Einrichtungen der ELKB bereit, um sie in Sachen Inklusion zu unterstützen und zu beraten?

Loher: Das Referat für Chancengerechtigkeit hat als Konzeption den so genannten Kompass der Chancengerechtigkeit (Anmerk. d. Red.: siehe dazu auch unser Spotlight) entwickelt. Der Kompass begleitet Sie auf dem Weg zu mehr Teilhabechancen in kirchlichen Einrichtungen. Durch die Filter kann man Fragen finden, die auf die individuelle Situation passt und sich Anregungen für die konkrete Umsetzung holen. Das Online-Tool wurde barrierearm programmiert und designt und ist auch in Leichter Sprache verfügbar.

Derzeit arbeiten wir an einem „Index für Inklusion“ – in diesem Zusammenhang bietet das Referat für Chancengerechtigkeit auf Anfrage eine digitale Schulung zum Thema “Search Engine Optimierung durch Barrierearmut” an. Hier blicken wir auf Barrieren auf Internetseiten, die durch redaktionelle Arbeit verringert bzw. vermieden werden können. Darüber hinaus ist geplant einen kurzen Workshop zum Thema barrierefreie Dokumente (aus Office Anwendungen und PDFs) zu entwickeln.

AEEB: Wo sehen Sie besonderen Handlungsbedarf in Bezug auf den Abbau von Barrieren? Was sollte sich in Zukunft ändern?

Loher: Mich würde es sehr freuen, wenn wir uns der Barrierefreiheit ohne Vorbehalte nähern können. Übertriebene political correctness bringt uns nicht weiter, genauso wenig wie wegignorieren. Wenn wir uns ab und zu daran erinnern, offen zu bleiben und darauf zu achten, was Menschen um uns herum brauchen, baut das viele Barrieren ab.

Behinderung ist häufig nicht sichtbar, oft wird sie versteckt aus Scham oder Angst vor Stigmatisierung. Manche Situationen werden vermieden, um nicht aufzufallen oder die Einschränkung nicht offenlegen zu müssen. 80% der über 70jährigen hat Schwierigkeiten beim Hören. Kommen wir z.B. zum Abendmahl im Kreis im Altarraum zusammen und dort wird ohne Mikrophon gesprochen, bedeutet das eine Barriere für diese Menschen. Mit ein bisschen Sensibilität für diese Problematik können wir mehr Menschen willkommen heißen und einbeziehen.

Barrieren sind nicht nur Treppenstufen – die meisten Barrieren sind in unserem Kopf. Daher freue ich mich, wenn Barrierefreiheit auch in der Erwachsenenbildung präsent ist und dazu beiträgt uns zu reflektieren und zu erinnern, was wir an Gemeinschaft schätzen und was es für ein gutes Miteinander braucht.

Link zur Website des Referat für Chancengerechtigkeit in der ELKB hier

Ansprechpartnerin im Referat für Chancengerechtigkeit: Linn Loher (linn.loher@elkb.de)

Interview: Sabine Löcker (AEEB)

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