„Gut, gerne und wohlbehalten miteinander im Dienst am Auftrag der Kirche“ – das ist der Titel des Projektes oder besser des Prozesses in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern – mit dem Ziel, das Miteinander der verschiedenen Berufsgruppen und unterschiedlicher Qualifikationen wahrzunehmen und besser zu gestalten. Ein lebendiges, nicht immer spannungsfreies Miteinander von kirchlichen Berufsgruppen, Verwaltungspersonal, Ehrenamtlichen gab es in unserer Kirche schon immer. Neu ist, dass dieses Miteinander zu einer der zukunftsoffenen Gestaltungsaufgaben von Kirche geworden ist.
Ein Bericht von Prof. Dr. Hans Jürgen Luibl (AEEB Vorstand / Theologisch-inhaltlich strategische Leitung)
Dies hängt zum einen mit der Frage des theologisch-pädagogischen Nachwuchses zusammen – hier scheint die Nachfrage nach kirchlichem Berufsleben unter jüngeren Menschen eher zu schwinden. Das hängt aber auch mit Flexibilisierung von Ausbildungsgängen zusammen und mit neuen Arbeitsbereichen und gegebenenfalls auch Anstellungsformen. Und wie die haupt- und nebenamtliche Struktur sich ändert, ändert sich auch das Ehrenamt – es ist darf nicht zum Lückenfüller einer erodierenden Amtskirche werden, sondern bekommt einen neuer Bedeutung: mit ihren verschiedenen Gaben bringen sich Menschen in kirchliche Aufgaben ein und entwickeln dabei Kirche weiter. Dass all diese Veränderungsprozesse laufen, steht außer Frage – wie sie laufen, was nötig ist, um sie konstruktiv, auch organisatorisch-rechtlich, und zukunftsfähig zu gestalten, das sind die Herausforderungen des neuen Miteinanders.
Was hier für die verfasste Kirche, auch für Diakonie oder den Religionsunterricht im System Schule gilt, hat das auch Bedeutung für die Erwachsenenbildung? Zunächst ist schlicht festzustellen: gerade die Erwachsenenbildung war und ist das Miteinander vieler Berufsgruppen und Qualifikationen ein Wesensmerkmal, ja sogar ein Motor der Arbeit. Das hängt wesentlich inhaltlich damit zusammen, dass Erwachsenenbildung non-formale Bildung ist, sich gerade von formalisierten und zertifizierten Bildungsprozessen in Kirche und Gesellschaft unterscheidet und aus diesen Herausforderungen nach eigenen Strukturen, Organisationsformen, Professionalisierungen und Berufsqualifikationen sich ausrichten muss, um ihrem Auftrag gerecht zu werden.
Welche Berufsgruppen mit welchen wissenschaftlichen und beruflichen Qualifikationen, diese Frage erhält derzeit eine neue Brisanz. Unverzichtbar sind gerade in der Evangelischen Erwachsenenbildung (EEB) kirchliche Berufsgruppen – Pfarrer*innen, Religionspädagog*innen, Diakon*innen und auch Sozialpädagog*innen, dabei geht es um Erfahrungen, Kompetenzen und Vernetzungen aus der und in die Breite der Kirche. Pädagogisch kompetente und qualifizierte Mitglieder einer kirchlichen Berufsgruppe sind ein großer Schatz für die Erwachsenenbildung. Es war ein großer Schritt, dass die Ausrichtung des Studiums der Religionspädagogik bewusst bipolar gestaltet wird und dass die Synode Stellen aus dem Landesstellenplan gerade für die Gruppe der Religionspädagog*innen für die Erwachsenenbildung bereitgestellt hat: neben der Schule sind Religionspädagog*innen auch in der gemeindlichen Bildungsarbeit und in den Einrichtungen der Erwachsenenbildung dringend gebraucht. Aber gerade für die Erwachsenenbildung sind weitere Berufsgruppen von Bedeutung – und nicht nur, weil der Nachwuchs in den kirchlichen Berufsgruppen weniger wird. Gebraucht ist klassisch pädagogische Qualifikation – erworben etwa im Studium der Pädagogik oder Andragogik (Didaktik für Erwachsene). Dringend gebraucht werden aber zudem immer mehr Menschen, die Bildungsprozesse im Sozialraum zu organisieren verstehen. Politologie im weitesten Sinn, Kulturwissenschaften, Kulturgeographie – hier kommen Kompetenzen ins Spiel, um die Potentiale evangelischer Bildung auch im Sozialraum gestalten zu können. Wenn es vielleicht auch weniger Studierende im theologisch-kirchlichen Kontext gibt, so existieren durch besondere Studiengänge jedoch auch theologische Qualifikationen, die besonders im Bildungsbereich fruchtbar werden können. Zu erwähnen sind hier etwa der Masterstudiengang Medien-Ethik-Religion an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg oder religionswissenschaftliche Masterstudiengänge wie an der Universität Zürich – um nur zwei Beispiele zu nennen. Neu sind die Herausforderungen, Bildungsarbeit – inhaltlich wie strukturell – in den Social Media zu verantworten. Wenn sich evangelische Erwachsenenbildung auf Dauer im digitalen Bereich behaupten will, wird es notwendig sein, entsprechende Qualifikationen – durch Ausbildung oder Berufserfahrung erworben – langfristig und damit in neuen Anstellungsformen zu integrieren. Damit ließe sich auch der Bereich der Öffentlichkeitsarbeit nochmals den Anforderungen entsprechend ausbauen und zukunftsfähig gestalten.
Wie sich inhaltlich die Bildungsarbeit verändert und neue Berufsfelder zu integrieren lernt, so gilt dies auch für den Verwaltungsbereich und die ehrenamtliche Partizipation. Verwaltung ist komplexer geworden und erfordert höhere Kompetenzen. An manchen Stellen ist es sinnvoll, Verwaltungsarbeit mit inhaltlichen Aufgaben zu kombinieren – zum Beispiel für die arbeitsintensiver werdende Projektarbeit. Wie sich die Ehrenamtsarbeit entwickelt, dafür mögen etwa die jungen Digitalisierer*innen stehen: junge Menschen, medienaffin, Digital Natives, die in Coronazeiten neue Einsatzmöglichkeiten in Gemeinden gefunden haben. Es wäre ein Gewinn, diese Gruppe in die Bildungsarbeit einzubeziehen, ihnen Aufgaben von Streaming-Aktionen bis hin zur Erstellung von Clips zu geben, die wir künftig brauchen und die zugleich neue Zielgruppen erschließen. Gamification im Bildungsbereich…
Die Ausdifferenzierung der Arbeitsbereiche und entsprechend der Qualifikationen ist ein Gewinn für die Weiterentwicklung der offenen Bildungsarbeit – zugleich aber sind diese Prozesse, damit sie auch gelingen, mit neuen Herausforderungen verbunden, die es zu bewältigen gilt.
Eine Frage, die sich im Zuge der Ausdifferenzierung immer wieder stellt, ist, ob damit ein gemeinsames Verständnis, ein gemeinsam verantwortetes Handeln sowie ein bewusst evangelisch-kirchliches Profil noch möglich sind. Eine erste Antwort darauf sind die so genannten Willkommenstage in Kirche und Diakonie – und interessanterweise sind gerade diese Tage der Vergemeinschaftung als pädagogische Arbeit den Bildungseinrichtungen übertragen worden. Die Leitidee bei den Willkommenstagen ist gerade nicht, dass neue Mitarbeitende in die Wolle gefärbt und ins System eingepasst werden, sondern dass sie als Personen mit ihren Qualifikationen wertvolle Mitarbeiter*innen, Impulsgeber*innen und Träger*innen in der Verantwortung auch für neue Formen von Kirche sind. Dasselbe gilt auch für die Evangelische Erwachsenenbildung: hier finden sich erfreulicherweise – dies zeigt etwa ein Blick in die Fortbildung in den ersten Amts- und Berufsjahren der EEB – viele neue Mitarbeitende mit unterschiedlichen Biographien, Qualifikationen und unterschiedlichen Vorstellungen von Kirche. Diese Potentiale zu erkennen und als Teil kirchlicher Entwicklung zu sichern, macht Kirche via Bildung bunter, attraktiver und stabiler. Wir erleben dabei gerade einen signifikanten Switch: war früher klar, was Kirche war und evangelische Erwachsenenbildung dazu eher ein Randphänomen, das sich zu legitimieren hatte, so steht heute in einer ausdifferenzierten und deutungsoffenen Gesellschaft Erwachsenenbildung wie sie ist für evangelische Kirche gerade in gesellschaftlichen Prozessen.
Ausdifferenzierung fordert, das hat auch der landeskirchliche Prozess des Miteinanders der Berufsgruppen gezeigt, eine Neubesinnung auf die einzelnen Berufsgruppen, ihre besonderen Aufgaben. Das ist zum einen eine grundsätzliche Frage: welche Qualifikationen sind notwendig, um professionell in der EEB zu arbeiten? Und es ist eine Frage der konkreten Beschreibung der Aufgabenfelder im Kontext einer gemeinsamen Verantwortung. Des weiteren gehört aber auch die Frage nach den Stellen und den Stellenzuweisungen dazu. Zunächst gibt es verschiedene Kategorien von Stellen: aus dem Landesweiten Dienst, zusätzliche Stellen der AEEB und Stellen aus den dekanatlichen Kontingenten. Hinzu kommen Projektstellen, zeitlich begrenzt und inhaltlich klar definiert. Es gibt zum Beispiel Pfarrstellen mit einem besonderen Dienstauftrag zur Erwachsenenbildung und eine Fülle von Teilzeitstellen – eine besondere Herausforderung in der Arbeitsbelastung. Wie kann es gelingen, hier ein kommunikatives Miteinander zu schaffen, sensibel zu werden für die unterschiedlichen Anstellungsformen und Belastungen, um einander nicht nur wahrzunehmen, sondern auch helfen zu können? Wie ist es langfristig möglich, die verschiedenen Qualifikationen und Berufsgruppen, die wir über die kirchlichen Berufsgruppen hinaus brauchen, gegebenenfalls auch auf Stellen einsetzen können, wenn nicht genügend Bewerber*innen aus kirchlichen Berufsgruppen zu Verfügung stehen? – Hier werden, wie im Konzept der Berufsgruppen der ELKB auch rechtliche Neuregelungen notwendig werden. Und schließlich: offene Bildungsarbeit verändert sich rasant, Bildungsmanagement muss darauf reagieren – wie können wir sicherstellen, dass Bildungsmanagement Teil der Bildungsarbeit wird und ggf. auch in Leitungsfunktionen verankert wird? Gerade kleinere Bildungseinrichtungen sind hier enormen Druck ausgesetzt – und es ist nötig, die Freude an der Bildungsarbeit und die Leistungsfähigkeit der Einrichtung durch adäquate Konzepte und kollegiale Begleitung zu sichern.
Ausdifferenzierung wird zunächst als eine Mehrarbeit verstanden: mehr an Arbeitsfeldern, mehr an Integration der neuen Herausforderungen. Im Konzept der Berufsgruppen der ELKB wird als Hinweis die bessere Vernetzung genannt. Nicht selten sind Hinweise auf Vernetzung nur eine Verlagerung der Probleme, wiederholen und potenzieren sich doch die Grundfragen, die zur Vernetzung als Lösung führen – im Vernetzungsprojekt. Demgegenüber haben wir in der AEEB schon seit längerer Zeit konkrete Ansätze zur Vernetzung und Erfahrungen mit gelingender Vernetzung. Dazu gehört etwa das Projekt der Regionalisierung oder die Leitidee eines dekanatlichen Kompetenzzentrums – beides Ansätze aus dem Projekt Innovation Bildung 2017. Auch das neue „Netzwerk Pädagogik“, ein Netzwerk der AEEF im Kontext der Bildungsvernetzung der ELKB, gehört in diese Entwicklung. Und dies verbindet sich mit dem Bildungshandlungskonzept der ELKB „Horizonte weiten, Bildungslandschaften gestalten“, etwa im Abschnitt „Religiöse Bildung in vernetzten Bildungslandschaften“ (S.: 44-51). Was damals nur angedeutet war, hat sich zu einem wesentlichen Punkt in der Entwicklung der Bildungslandschaften verdichtet: das Miteinander der verschiedenen Berufsgruppen in der gemeinsamen Verantwortung für evangelische Bildung.
Der Untertitel des Abschlussberichts zum landeskirchlichen Miteinander der Berufsgruppen lautet: „Eine Kultur des Respekts vor den jeweiligen Qualifikationen und die dafür notwendigen Rahmenbedingungen“. Es geht um ein Doppeltes: um den Respekt voreinander und um organisatorische und rechtliche Rahmenbedingungen. Evangelische Erwachsenenbildung, das haben die kurzen Ausführungen gezeigt, ist wie Kirche, Diakonie, Schule etc. von diesen Veränderungen betroffen –und wir hoffen, dass auch seitens der Kirche Wege gefunden werden, die uns ermöglichen, die notwendigen Schritte zu gehen. Gezeigt hat sich aber auch, dass die EEB von diesen Veränderungen nicht nur betroffen ist, sondern darin schon Erfahrungen gesammelt hat. Bildung hilft, auch kollektive Veränderungsprozesse zu organisieren. Das wiederum könnten wir dann auch in kirchliche Prozesse einbringen.