(Leichte) Sprache – Filter und Schlüssel inklusiver Bildung

Eine Praxisreflexion von Dr. Carsten Lenk, Geschäftsführer im EBW Regensburg

Bianca, Melli und Stefan kugeln sich vor Lachen. Gerade hat der Bundestagsabgeordnete Ulrich Lechte (FDP) erklärt, wie Koalitionsbildung im Deutschen Bundestag funktioniert. „Stellt euch vor, in eurer Wohngruppe sagt der Stefan zur Melli…“ – Nur eine Szene aus unserem Projekt „Politische Bildung in leichter Sprache“, das wir anlässlich der Bundestagswahl 2021 durchführen konnten. Partner dabei waren die Volkshochschulen in Stadt und Landkreis sowie die KEB Regensburg Stadt. An fünf Terminen bei fünf Bildungsträgern stellten sich die Kandidat*innen der demokratischen Parteien vor, beantworteten Fragen und erklärten, wie Politik funktioniert. Das Besondere? Alle Teilnehmenden sind in den offenen Lernwerkstätten der Lebenshilfe Regensburg tätig. Sie haben Lernschwierigkeiten, sind – wie es korrekt heißt –  kognitiv beeinträchtigt und haben häufig auch eine sogenannte Mehrfachbehinderung. Was sie verbindet? Das Interesse an Politik und der Spaß, mit anderen zu diskutieren und ihre eigene Meinung einzubringen.

Inklusive Bildung braucht den Abbau von Barrieren

Aber gehen wir einen Schritt zurück. Im Jahr 2017 hat die Volkshochschule Regensburg gemeinsam mit der Lebenshilfe vor Ort eine gemeinsame Initiative ins Rollen gebracht: Lernen im Sozialraum Inklusiv oder kurz LISI. Ein Antrag bei der Aktion Mensch wurde erfolgreich gestellt und ab 2019 wurde so eine Teilzeitstelle für die Koordination des Projekts bei der Lebenshilfe geschaffen.

Das erklärte Ziel war es, Barrieren abzubauen: man denkt zunächst an die räumliche Zugänglichkeit zu Lernorten, aber genauso wichtig ist es, die mentalen Barrieren abzutragen, die durch Ausschreibung und Anmeldung gerade für die oben beschriebene Zielgruppe besteht. Warum sind so gut wie keine Menschen mit Lernschwierigkeiten in unseren Kursen vertreten, auch wenn sie bei vielen Formaten gerade im Bewegungs- und kreativen Bereich gut teilnehmen könnten? Und Hand aufs Herz: sind viele unserer Ausschreibungstexte nicht viel zu akademisch und zu komplex, damit sie Menschen ohne höhere Schulbildung verstehen können?

Es entstand die Idee, ein Kursprogramm für diese Zielgruppe in leichter Sprache zu erstellen. Die Auswahl, welche Veranstaltungen aufgenommen wurden, wurde übrigens vom Beirat der offenen Hilfen, also von Vertreter*innen der Betroffenen selbst vorgenommen. 2019 schloss sich die KEB und 2020 das EBW dieser Initiative an. Durch die Projektförderung war es außerdem möglich, dass die Lebenshilfe Assistenzen bereitstellen konnte, die Menschen mit Beeinträchtigung zum Termin begleiten, wo es notwendig und unterstützend ist.

Teilhabe ermöglichen durch zielgruppenspezifische Formate

2021 sind wir dann mit unseren Kooperationspartnern einen weiteren Schritt gegangen: anlässlich der Bundestagswahl 2021 (s.o) haben wir den Politik-Dialog in leichter Sprache mit den Kandidat*innen entwickelt. Hervorragende Arbeit dabei hat David Löw als Koordinator und begleitender Dozent der Lebenshilfe geleistet, der die Gruppe für die jeweiligen Gesprächstermine vorbereitet, mit allen gemeinsam Themen und Fragen gesammelt hat. Eine gute Unterstützung boten auch die Materialien der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) in leichter Sprache. Ein moderiertes „World Café“ mit allen fünf Kandidat*innen schloss diese Veranstaltungsreihe ab. Für unsere Politiker*innen war das Format durchaus eine Herausforderung. Der Zwang zur Verständlichkeit und der Verzicht auf nebulöses Geschwafel stellte manchen unserer Gäste vor eine echte Herausforderung.

Ermutigt durch den Erfolg sind wir auch im vergangenen Jahr am Thema drangeblieben. Im Projekt „Kommunalpolitik in leichter Sprache“ (als Projektförderung aus staatlichen Mitteln bewilligt) folgten wir diesem bewährten Muster der Politiker*innen-Gespräche mit Vorbereitung. Besonderer Fokus lag auf den Themen, die unsere Zielgruppe in ihrem Alltag besonders bewegte. Spannend zu sehen war es für mich, dass diese sich nicht sonderlich von den Anliegen anderer Regensburger*innen unterschieden: wo finde ich eine Wohnung, die ich bezahlen kann? Warum fährt nach 22.00 Uhr kein Bus mehr in den Vorort? Und wie kann ich es mir leisten, ein Konzert oder den örtlichen Fußballklub zu besuchen?

Sprache als Filter und Schlüssel

Als Stützpunkt der Verbraucherbildung haben wir im Herbst 2022 dann das Thema Kauf- und Mobilfunkverträge, erklärt in leichter Sprache aufgegriffen. Dazu wurde auch eigenes Informationsmaterial in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Verbraucherservice übersetzt. Das Büro für leichte Sprache in Regensburg war hier eine wertvolle Unterstützung. Mir hat es die Augen geöffnet zu sehen, wie aus einem zweiseitigen komprimierten Flyer zum Inkasso-Verfahren ein zehnseitiger Text wurde, der viele Begriffe der juristischen Sprache erklärt und umschreibt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Zusammenarbeit mit der Lebenshilfe einen großen Mehrwert für uns geschaffen hat: wir haben eine völlig neue Zielgruppe erschlossen, wir stärken unsere aufsuchenden Angebote, indem wir sie passgenau auf Menschen zuschneiden, die sonst wenig Zugang zu Bildungsangeboten haben. Und wir lesen die eigenen Texte jetzt sehr viel kritischer und arbeiten daran, sie einfacher, verständlicher und vielleicht auch kürzer zu machen. Sprache ist ein Filter und eine Barriere, die man nicht unterschätzen sollte.

Leichte oder zumindest einfache Sprache macht uns auch für andere Zielgruppen attraktiver: wenn ich an die Teilnehmer*innen unseres hasa-Kurses denke, in dem junge Menschen eine zweite oder dritte Chance bekommen, ihren Mittelschulabschluss nachzuholen oder an Migrant*innen mit geringen Sprachkenntnissen: nur, wenn wir verständlich kommunizieren, erreichen wir diejenigen, die sonst nur schwer einen Zugang zu Bildungsangeboten finden. Aus meiner Sicht eine zentrale Aufgabe evangelischer Erwachsenenbildung.

Zur weiteren Info:

Einen Link zur Website des EBW Regensburg finden Sie hier

Mehr Infos zu „Sag´s einfach – Büro für leichte Sprache“ in Regensburg hier

Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) setzt sich mit diversen Projekten für den Gebrauch “Leichter Sprache” ein und hält auch diesbezügliche Materialien bereit: “einfach Politikhier ; “inklusiv bildenhier

Einen Link zur Website der Lebenshilfe Regensburg finden Sie hier

Foto: Gert Altmann auf pixabay

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