Ehrenamt in der Ev. Erwachsenenbildung – Selbst Fenster putzen kann Spaß machen…

„Schon längst unterwegs zu einer Ehrenamtskirche“ war der Titel des Ehrenamtskongresses, zu dem das Amt für Gemeindedienst und der Fachbeirat Ehrenamt im Frühjahr dieses Jahres eingeladen haben. Schon in den ersten Rede- und Diskussionsbeiträgen wurde allerdings deutlich: wir sind nicht erst unterwegs zu einer Ehrenamtskirche, sondern sind es längst. Nicht erst jetzt, wo wir wissen, dass in den nächsten Jahren die Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stark zurückgehen wird. Unsere Kirche lebt vom Zusammenwirken von Haupt- und Ehrenamtlichen bei den vielfältigen Aufgaben in der Gemeinde, in den Gremien und im Gottesdienst…

Ein Bericht von Christa Müller (Geschäftsführerin und pädagogische Leiterin des EBW Donau-Ries e.V. sowie im Forum Westmittelfranken)

Ich selbst bin schon seit Jahrzehnten ehrenamtlich in unserer Kirche unterwegs. Was mich motiviert? Hier ein kleiner biografischer Ausflug in meine Jugend: Noch heute wundere ich mich, wenn ich erzähle, dass zu den richtig schönen Erinnerungen meiner Zeit in der Evangelischen Landjungend ein Wochenende gehört, an dem ich ganz viele Fenster geputzt habe. (Fensterputzen gehört wirklich nicht zu den Arbeiten, die ich gerne mache. Heute nicht und damals auch nicht.) Warum es trotzdem ein tolles Wochenende war? – Die Fenster gehörten zu einem Jugendhaus eines befreundeten Jugendverbandes, das renoviert wurde. Alle Gruppen und Verbände waren angefragt, den Bau nach Möglichkeit finanziell zu unterstützen. Geld hatte unsere Gruppe keines, aber Zeit und Energie. Und so war unser Angebot ein Putzeinsatz vor dem Einzug. Wir Schwaben fuhren nach Unterfranken, im Gepäck Eimer, Lappen und den Schlafsack. Und so wimmelte es im Haus von fröhlichen Jugendlichen, die Fenster putzten (nicht wenige), Böden wischten und Fliesen zum Glänzen brachten. Begleitet von guter Musik aus dem Kassettenrecorder und viel Lachen. Am Abend strahlten nicht nur das Haus, sondern auch wir Jugendliche. Geschafft! Zur Belohnung gab es von den Hauptamtlichen für uns ein Essen mit Weinprobe und anerkennende Worte.

Warum erzähle ich diese „alte Geschichte“? Weil ich darin klassische Motive für freiwilliges Engagement entdecke:

  • Ich tue etwas Sinnvolles.
  • Was ich tue, macht Spaß.
  • Ich kann meinen Beitrag leisten, ich werde gebraucht – im guten Sinne.
  • Ich entscheide selbst, was und wieviel ich tue.
  • Ich lerne neue – im besten Falle nette, gleichgesinnte, interessante – Menschen kennen und kann mit ihnen zusammen etwas tun.
  • Ich kann meine Kompetenzen einbringen und weiterentwickeln oder auch etwas Neues ausprobieren und lernen.
  • Ich bekomme Anerkennung und ein Dankeschön.

Diese Motivation bzw. diese Gründe sich zu engagieren, nennen auch Befragte in Ehrenamtsstudien, und daran hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert. Heißt: Menschen wollen sich engagieren – gleichwohl merken wir allerdings auch, dass Ehrenamt sich wandelt. Dass die klassischen treuen Mitarbeiter*innen in Gemeinden, Gruppen und Kreisen, die immer vor Ort sind, wenn jemand gebraucht wird, und das über viele Jahre und Jahrzehnte, weniger werden. – Neue sind schwerer zu finden und sie bleiben (häufig) nicht mehr so lange dabei.

So wie sich Gesellschaft, Lebensumstände und Lebensentwürfe von Menschen in Veränderung befinden, sind auch die Formen freiwilligen Engagements im Wandel: Zeitliche Ressourcen sind knapper geworden und werden bewusster eingesetzt. Menschen sind mobiler, sie bewegen sich verstärkt im digitalen Raum – Beruf und Familie fordern heutzutage immens. Deshalb verpflichten sich viele Ehrenamtliche nicht mehr über einen langen, unüberschaubaren Zeitraum. Sie agieren selbstbewusst und bringen ihre Kompetenzen und Erfahrungen ein. Sie wollen auf keinen Fall nur Lückenbüßer*innen oder Gehilf*innen sein. Sie wollen wahr- und ernstgenommen werden, eigene Ideen einbringen und umsetzen. – Auf diese veränderten Rahmenbedingungen und Herausforderungen müssen wir reagieren. Heißt: Ehrenamt braucht Qualifikation, Begleitung und geklärte Strukturen!

Und was können bzw. müssen wir als Kirche, als Erwachsenenbildung tun, damit Ehrenamtliche bei uns ihren Platz finden? – Ein erster Schritt ist sicherlich, dass wir nicht mehr fragen: „Wir brauchen Ehrenamtliche für…. Wer könnte das übernehmen?“ Sondern: „Was möchtest Du bei uns und mit uns tun, welche Gaben und Fähigkeiten möchtest Du einbringen und was brauchst Du dafür?“ Als Erwachsenenbildung können wir vorangehen, weil wir schon lange auf die Weise arbeiten, dass Menschen sich mit ihren Talenten und Ideen einbringen können und wir dafür Räume und Begleitung bieten.

Tolle Beispiele dafür sind Kurse wie der “Kulturführerschein”, der seit vielen Jahren im EBW München angeboten wird. Frauen und Männer orientieren und qualifizieren sich und finden ein Format, ein Thema, das zu ihnen passt. So entstehen neue, interessante Bildungsangebote, von denen andere profitieren. An anderen Orten werden digital affine Menschen ausgebildet, um Seniorinnen und Senioren auf dem Weg in die digitale Welt zu unterstützen. Die Bildungseinrichtung wird in diesen Fällen zur Plattform für die Vermittlung sowie die Begleitung, und plötzlich finden Menschen bei uns ihren Platz, die wir „als Kirche“ sonst kaum erreicht hätten. Aber auch die Kirchengemeinden stellen Projekte auf die Beine, bei denen Kirchenvorsteher*innen zusammen mit anderen neue, ungewöhnliche Aktionen ausprobieren, um mit den Menschen über Leben und Glauben ins Gespräch zu kommen. Sei es mit einem mobilen Pizzaofen, einer Pop-up-Kirche, einer Espresso-Ape oder beim „Streettalk“ in der Fußgängerzone – viele sind inzwischen unterwegs zu den Menschen.

Natürlich gibt es nach wie vor das vertraute und bewährte Ehrenamt, bei dem sich Menschen über lange Zeit einsetzen. Und natürlich gehören sie zu den wichtigen Pfeilern unserer Arbeit. Damit daneben aber auch dieses „neue Ehrenamt“ und das Zusammenspiel mit den Hauptamtlichen gelingt, müssen Rollen (oftmals) neu definiert und gefunden werden: Ehren- und Hauptamtliche kommunizieren und arbeiten miteinander auf Augenhöhe. Und während Hauptberufliche vor allem Möglichmacher*in und Begleiter*in – sie öffnen Räume und kümmern sich ggf. um passende Rahmenbedingungen – sind, werden die Freiwilligen für ihre Aufgabe qualifiziert. Kompetenzen und Rahmenbedingungen sind geklärt und vereinbart. Die Erwachsenenbildung übernimmt dabei die Rolle als Pionier und Impulsgeber. Neben unseren klassischen Qualifizierungsangeboten für Ehrenamtliche entwickeln wir neue Fortbildungsangebote für Ehren- und Hauptamtliche. Wir bieten (Experimentier-)Räume – vor Ort und im digitalen Raum. Wir reflektieren zusammen mit Haupt- und Ehrenamtlichen ihre Arbeit und entwickeln sie gemeinsam weiter. Wir bleiben miteinander in Bewegung.

Von manchen vertrauten Selbstverständlichkeiten müssen wir uns also verabschieden. Doch das Neue lockt, und schon immer gehört(e) Innovationsfreude zum Profil der evangelischen Erwachsenenbildung. Wir nehmen die Herausforderungen an…

Text: Christa Müller (Geschäftsführerin und pädagogische Leiterin im EBW Donau-Ries e.V sowie im Forum Westmittelfranken)

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